Henning Mankell im
Gespräch: |
Warum haben Sie „Butterfly Blues“ geschrieben? Als ich vor etwa einer Stunde durch die Frankfurter Innenstadt schlenderte, hielt ich inne und schloss meine Augen. Innerhalb von zehn Minuten hörte ich acht verschiedenen Sprachen. Und so ist das nicht nur in Frankfurt, so ist das in Graz, so ist das überall. Das heutige Europa verändert sich rasend schnell – und nicht nur durch die starke Immigration, auch in sich selbst. Beim Schauspielhaus in Frankfurt sah ich heute einen Afrikaner, einen sehr großgewachsenen Mann. Und der sprach so ein wunderbares Deutsch, so wie man es von deutschen Schauspielern der alten Schule kennt. Ich denke, das war auch sehr aufschlussreich. Ich wollte ein Stück schreiben, das von zwei afrikanischen Mädchen handelt. Immigranten in Europa, vielleicht in Frankfurt, vielleicht in Graz, vielleicht sonst irgendwo. Und sie können kein Deutsch. Aber sie weigern sich, die Opferrolle anzunehmen: „Herrgottszeiten, wir sind jetzt hier und wir wollen bleiben. Und wir wollen euch zeigen, dass es gut für euch ist, dass wir hier sind.“ Damit haben wir das Stück. Und um das umzusetzen, habe ich zwei afrikanische Schauspielerinnen mitgebracht, die kein Wort deutsch oder österreichisch sprechen. Die Mädchen arbeiten mit zwei deutschen Schauspielern, junge Männer, die wiederum kein einziges Wort ihrer Sprache sprechen können. Das ist Europa für mich. In unserer Inszenierung werden wir viele verschiedene Sprachen verwenden. Ich werde sogar neue Sprachen erfinden, sollte das nötig sein. Am Ende des Stückes soll niemand mehr im Theater sein, der alles komplett verstanden hat. Aber grundsätzlich wollen wir eine Geschichte über europäische Immigranten erzählen, die sich nicht in die Opferrolle drängen lassen. Wir sollten alle aufhören, Einwanderer als Opfer zu sehen. In Europa gab es immer eine Flut von Einwanderern. Alle Nationen bestehen aus Immigranten. Auch ich bin ein Einwanderer in Schweden. Ich bin dort geboren, aber die Vorfahren meiner Eltern sind vor 200 Jahren aus Frankreich und Deutschland eingewandert. Warum werden Immigranten in die Opferrolle gedrängt? Das ist eine schwierige Frage. Dabei darf man eins nicht außer acht lassen: viele Immigranten inszenieren sich selbst als Opfer. Es ist eine Möglichkeit, zu überleben.
“Butterfly Blues” ist auch eine Komödie. Erzählen Sie uns etwas über den komischen Teil? Zum Beispiel entsteht immer Situationskomik, wenn Menschen nicht alles richtig verstehen. Es verhört jemand eine Person und benutzt einen Dolmetscher, der die Sprache nicht richtig beherrscht, aber so tut, als verstehe er alles genau. Da gibt es viel zu lachen. Auch wenn Menschen lügen, kann das komisch sein. Im Stück gibt es eine Szene, in der eines der Mädchen im Verhör nach ihrem Namen gefragt wird. Sie hält es für besser, nicht ihren richtigen zu nennen. Da sieht sie eine Teetasse auf dem Tisch und sagt, ihr Name sei „Teebeutel“. Der Mann sagt: „So einen Namen gibt es nicht“. Aber das Mädchen erwidert: „Oh doch! Da wo ich herkomme heißen viele Menschen „Teebeutel“.“ Jetzt wissen wir, dass sie lügt, aber sie lügt auf eine raffinierte Art und Weise. Wenn Menschen lebendig und lebenslustig sind und versuchen, sich durchzuschlagen, ist das immer wieder auch Komödie, nicht nur Tragödie. Gibt es eine „Botschaft“ in ihrem Stück und in ihren Büchern? Was im Moment in vielen europäischen Ländern passiert – inklusive Österreich – macht mir Angst. All das Gerede aus den rechten Flügeln vom „vollen Boot“, „keine Immigranten mehr“. Das ist doch alles Mist. Die meisten der Immigranten ziehen von einem armen Land in ein anderes armes Land. Es kommen nur so verschwindend wenige nach Europa, nur ein paar Tröpfchen verglichen mit der Welt. Und wir brauchen die Einwanderer um Europa gesund und lebendig zu halten. Wir müssen gegen den Rassismus kämpfen. Warum gingen Sie überhaupt nach Afrika? Aus romantischen Gründen vielleicht? Das ist schwierig zu erklären. Romantische Gründe waren es nicht. Ich glaube nicht an „romantische Gründe“. Aber wenn ich auch vor langer Zeit schon nach Afrika ging, habe ich doch Europa nie verlassen. Afrika hat mich zu einem besseren Europäer gemacht. Ich habe Europa mit Distanz sehen können. Als Schriftsteller brauche ich eine Perspektive von außen.
Graz bat Sie, ein Stück für das Kulturhauptstadtjahr zu schreiben. Warum haben Sie akzeptiert? Zum Teil können Sie Herrn Haider dafür danken. Warum? Weil ich nichts von seinen Überzeugungen halte – „Das Boot ist voll“, ha! Ich wollte ihn ärgern. Die richtigen Leute achten auf gutes Theater. Wenn man schlechtes Theater macht, hört allerdings niemand drauf. Sie führen auch Regie. In welcher Sprache werden Sie Ihre Anweisungen geben? Schauspieler müssen sich nur ein, zweimal auf der Bühne begegnen und schon verstehen sie sich, das gilt für Schauspieler auf der ganzen Welt. Auf der Probe werde ich Deutsch und Portugiesisch sprechen. Seit wann schreiben Sie Stücke? Ich habe schon Theaterstücke geschrieben, bevor ich mit Romanen angefangen habe. Das erste Stück habe ich mit 19 verfasst. Wenn ich eine Geschichte erzählen will, überlege ich immer: was ist die beste Form? Und manchmal ist das eben ein Theaterstück. Sie haben für Ihr politisches Engagement sehr viel Beifall erhalten. Meinen Sie, Autoren, Intellektuelle, eben Leute wie Sie, versuchen, die Welt zu verändern? Erstens: Die Intellektuellen in Europa haben schon immer die Menschen betrogen. Sie wissen, was vorgeht, und halten den Mund. Zweitens: Ich glaube nicht daran, dass man mit Kunst die Welt verändern kann. Allerdings kann man aber auch nichts ohne Kunst verändern. Sehen Sie sich als einen moralischen Mann? Oh ja. Wie kann man überleben ohne moralische Grundsätze zu haben? Als Europäer hast du doch immer noch die Wahl: Wenn du auf der Treppe einen Schrei nach Hilfe hörst, kannst du entweder deinen Fernseher lauter drehen oder helfen. An dem Tag, an dem ich meinen Fernseher lauter drehe, falle ich hoffentlich tot um. Auszüge aus einem Gespräch mit Gabriele Madeja (ORF) |