- 12.09.2006:
Wallander wieder auf
Verbrecherjagd
Autor Henning
Mankell: Keine Ruhe für Wallander.
(Foto: © DPA)
Gestresst, überarbeitet, krank: Kommissar Wallander war reif für die
Rente. Doch Autor Henning Mankell will seiner berühmten Figur einfach
keine Ruhe gönnen. Der Ermittler kehrt zurück - und Krimi-Freunde atmen
auf.
Eigentlich wollte Kurt Wallander längst einen Schritt kürzer treten und
die Jagd nach kriminellem Gesindel anderen überlassen, vor allem seiner
Tochter Linda. Und stattdessen in ein Haus direkt am Meer ziehen, wenn
schon nicht mit einer Frau, dann doch zumindest mit einem eigenen Hund.
"Es war immer mein Traum, morgens aus dem Bett zu steigen und direkt
hinaus ins Freie treten und pinkeln zu können", beichtet Wallander in
seinem letzten Roman "Vor dem Frost" der Tochter, als er ein geeignetes
und finanzierbares Objekt an der Küste besichtigt, direkt an einem zum
Meer abfallenden Hang. Ein idealer Platz fürs Altenteil also -
eigentlich.
Es muss eine dieser dunklen Nächte im südschwedischen Schonen gewesen
sein, die zu Schwermut und Melancholie verleiten, als Henning Mankell
fast zehn Jahre nach seinem ersten Bestseller um den Kult-Kommissar
diesen Entschluss fasste und Wallanders Vorruhestand ankündigte. Richtig
geglaubt hat der Autor wohl damals schon selbst nicht daran, zumindest
tief in seinem Innersten. Immerhin lässt er Tochter Linda sinnieren:
"Dies ist kein Haus, in dem mein Vater seine Ruhe finden kann."
So ist es, und die Fans von Wallander wird's freuen. "Kurt geht's gut",
sagte der Bestsellerautor jetzt dem SPIEGEL, "er wird wiederkommen,
keine Sorge." Mankell verriet auch schon wann: "Nächstes Jahr wird er
wieder da sein." Geplanter Titel: "Der China-Mann". Dann wird der
schwermütige Ermittler weiter Einsamkeit und Übergewicht, schmerzende
Gelenke und den gesellschaftlichen Verfall beklagen. Und dem Bösen auf
der Spur bleiben.
Dabei wäre der Ausstieg doch sorgsam inszeniert gewesen. Zehn Bücher von
ihm hätte es dann gegeben, zehn Fälle, mit denen sich Mankell in guter
historischer Tradition bewegt hätte. Zehn Fälle waren es auch, mit denen
das Autoren-Paar Sjöwall/Wahlöö und ihr Kommissar Martin Beck den Ruf
des Schweden-Krimis begründeten. Doch dann kommt Kurt: "Warum will ich
eigentlich aufs Land?", fragt sich Wallander. Eben.
Über den Inhalt des neuesten Falles möchte Mankell noch keine Details
preisgeben. Nur, dass sich Wallander-Freunde wohl sogar noch auch auf
einiges mehr gefasst machen dürfen. "Kurt wird Rentner, wenn er Rentner
wird", sagt Mankell, "im wahren Leben hätte er noch bis 2011 Zeit, in
Pension zu gehen." Das lässt hoffen.
Zuvor wird Vielschreiber Mankell seine Leser aber noch mit anderen
Werken beglücken. Schon im September wird in Schweden sein neuester
Roman erscheinen, nächsten Frühling wohl auch auf Deutsch: "Italienische
Schuhe". Ein "wunderschöner Titel", schwärmt Mankell. Kein Thriller,
sondern eine Geschichte über das ganz profane Leben der Menschen in
Europa, mit all ihren kleinen Alltagssorgen.
Von Manfred Ertel
(Quelle: SPIEGEL ONLINE,
Recherche: Stefan Hoffmann)
- 05.09.2006:
Mankell im Interview: "Afrika
braucht die Frauen!"
Aids raubt jedes Jahr Millionen
afrikanischer Kinder die Eltern. Der Autor Henning Mankell versucht, die
Erinnerung an die Toten zu retten. Im Interview erklärt er das Konzept
der "Memory Books" und plädiert für die Emanzipation der afrikanischen
Frauen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Mankell, seit den achtziger Jahren haben Sie Ihre
Wirkungsstätte immer mehr nach Mosambik verlegt. In Maputo haben Sie ein
eigenes Theater gegründet. Woher kommt die Liebe für den schwarzen
Kontinent?
Mankell: Als junger Mann wollte ich etwas von der Welt sehen. Ich habe
Schweden verlassen und begonnen zu reisen. Als ich in Afrika aus dem
Flugzeug stieg, fühlte ich mich dort sofort zu Hause. Ich habe dafür
keine Erklärung. Ich war noch nie zuvor auf diesem Kontinent und hatte
auch keine Familie oder Bekannte dort. Trotzdem war es ein Gefühl von
Heimat, und das ist bis heute geblieben. Außerdem hält mich meine Arbeit
am Teatro Avenida in Maputo. Es ist das einzige Theater in Mosambik und
inzwischen sehr bekannt. Die Menschen in Afrika lieben das Theater, es
ist eine gute Möglichkeit, sie zu erreichen.
SPIEGEL ONLINE: In den letzten Jahren haben Sie sich verstärkt dem Kampf
gegen Armut und Aids verschrieben. Im Jahr 2010 werden bis zu 40
Millionen Kinder ihre Eltern wegen der Krankheit verloren haben, ein
Großteil von ihnen in Afrika. Was können wir gegen diese Entwicklung
tun?
Mankell: Zunächst müssen wir den Analphabetismus bekämpfen. Wie soll
sich jemand über Aids informieren, wenn er nicht lesen und schreiben
kann? Der nötige Unterricht würde nicht mehr kosten, als in Europa
jährlich für Hunde- und Katzenfutter ausgegeben wird. Wichtig ist aber
auch die Emanzipation der Frauen. Sie sind es, die in Afrika das
tägliche Leben organisieren und die größte Verantwortung für den
Zusammenhalt der Familie tragen. Aber politisch haben sie nichts zu
sagen, und sie wissen meist auch nicht, wie sie sich vor Aids schützen
können. Ich frage mich wo die Feministinnen sind, um die Frauen dort zu
unterstützen. Afrika braucht die Frauen, in ihnen liegt die Zukunft.
SPIEGEL ONLINE: In Uganda unterstützen Sie ein außergewöhnliches Projekt
für Aids-Waisen.
Mankell: Es gibt so viele verwaiste Kinder in Afrika, die nichts über
ihre Eltern wissen. Die nichts von der Krankheit wissen, die ihre Eltern
umgebracht hat. Das "Memory Book"- Projekt, das ich in meinem Buch "Ich
sterbe, aber die Erinnerung lebt" beschreibe, unterstützt Aids-Kranke
dabei, Erinnerungsbücher für ihre Kinder zu verfassen. Es geht darum,
den Kindern eine Idee zu vermitteln, wer sie sind, von wem sie
abstammen. Durch diese Bücher haben sie etwas, woran sie sich halten
können, wenn ihre Eltern tot sind.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen die Bücher zustande - in einem Land, in dem
es so viele Analphabeten gibt?
Mankell: Anfangs habe ich mich das auch gefragt. Aber die Menschen haben
die verschiedensten Wege gefunden, um sich mitzuteilen. Sie kleben Sand
in die Bücher oder machen kleine Zeichnungen. Für die Kinder werden
diese Bücher dann später zu ihrem wertvollsten Besitz. Einmal habe ich
in einem Dorf ein kleines Mädchen getroffen. Sie hieß Aida - nur ein
Buchstabe trennte sie von Aids. Sie folgte mir einige Zeit und streckte
mir schließlich ein kleingefaltetes Stück Papier hin. Sie wollte
unbedingt, dass ich es mir anschaue. Als ich das Papier aufklappte, sah
ich darin einen toten blauen Schmetterling. Aida sagte zu mir: "Meine
Mutter liebte blaue Schmetterlinge."
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es für die kranken Eltern, solche Bücher zu
verfassen?
Mankell: Für die meisten ist es sehr schwer, mit dem Schreiben oder
Gestalten der Bücher zu beginnen. Das eigene Leben und die eigene
Familiengeschichte auf Papier festzuhalten bedeutet ja auch, sich
einzugestehen, dass man an der Krankheit sterben wird. Das ist ein
grausamer Prozess. Manche Mütter und Väter verfassen für jedes ihrer
Kinder ein Buch, andere scheitern schon am ersten. Aber in jedem Fall
sind die Bücher von unschätzbarem Wert, denn sie geben weiter, was sonst
niemand dokumentiert hätte.
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sie selbst mit all den Erfahrungen und
Erlebnissen um, die Sie auf ihrer Reise durch Uganda gemacht haben?
Mankell: Es gibt Bilder und Begegnungen, die ich nie vergessen werde.
Ich wache auch oft mitten in der Nacht auf und denke an all die
Probleme, die wir lösen sollten. Das Schlimmste ist: Viele von ihnen
hätten wir schon längst lösen können. Diese Gedanken rauben mir den
Schlaf. Ich will nicht in einer Welt leben, in der kleine Kinder an
Masern sterben, weil Medikamente für sie unbezahlbar sind. Das ist doch
furchtbar; im Jahr 2006 sollte kein kleines Kind mehr an Masern sterben
müssen!
SPIEGEL ONLINE: Können wir von Afrika auch etwas lernen?
Mankell: Auf jeden Fall. Zum Beispiel, dass in der Armut immer auch
Reichtum zu finden ist. Oder den starken Bezug, den die Menschen in
Afrika zu ihrer Geschichte haben, und die hohe Achtung vor den
Verstorbenen. Ich selbst wurde in Afrika ein besserer Europäer. Egal wie
lange ich dort leben werde, so bleibe ich doch Europäer, hier sind meine
Wurzeln. Aber durch die Entfernung kann ich Europa aus einem anderen
Blickwinkel sehen. Außerdem habe ich gelernt, mehr zuzuhören. Ein
afrikanisches Sprichwort sagt: Du hast zwei Ohren und nur einen Mund -
und das hat einen guten Grund.
Das Interview führte Anne Backhaus.
(Quelle: SPIEGEL ONLINE)
- 13.08.2006:
Das Dorf der Mankells -
Hessische Autorenwurzeln
Elisabeth Mankel
aus Niederasphe liest ein Buch ihres berühmten Verwandten.
(Foto: © ddp)
Die Vorfahren des schwedischen
Bestsellerautoren Henning Mankell kommen aus einem kleinen Dorf in
Hessen. Dort wohnen noch heute viele seiner Verwandten - bislang
freilich, ohne es zu wissen. Erst die Recherchen für eine Dorfchronik
brachten jetzt die prominenten Familienbande zutage.
Große Kriminalfälle hat Niederasphe nicht zu bieten: Im 30-jährigen
Krieg wurde der Küster von schwedischen Soldaten in der Kirche ermordet,
1946 entdeckte man ein Liebespaar tot im Feld - vermutlich aus
Eifersucht getötet. Seitdem weiß Bernhard Döpp, Polizist im Ruhestand,
nur noch von kleinen Dieben und Nachbarschaftsstreitigkeiten zu
erzählen. Das landwirtschaftlich geprägte 900-Seelen-Dorf nördlich von
Marburg liegt abseits von Bundesstraßen und Bahnstrecken. Doch
ausgerechnet in diese beschauliche Ortschaft führen die Wurzeln des
berühmten schwedischen Kriminalschriftstellers Henning Mankell.
Mindestens zehn Familien aus Niederasphe tragen seinen Namen - wenn auch
am Ende ein "l" fehlt. Und noch mehr Familien aus dem Münchhäuser
Ortsteil sind irgendwie mit ihm verwandt.
Zu verdanken haben sie dies Johann Hermann Mankel, dem Ururgroßvater von
Henning Mankell. Der wurde am 19. Dezember 1763 auf einem Bauernhof im
Schatten der Kirche von Niederasphe geboren. In dem Gehöft wohnt bis
heute ein Zweig der Mankel-Familie. Doch der junge Johann Hermann Mankel
war eine musikalische Begabung. Er lernte zwar noch auf der Orgel in der
Kirche von Niederasphe, zog aber schon früh fort, um als Hof- und
Kappellmeister unter Herzog Carl August von Sachsen-Weimar zu arbeiten.
Über Zwischenstationen in Frankreich und den Niederlanden kam er als
Organist nach Christiansfeld in Dänemark. Dort hörte ihn der schwedische
König Karl XIV. Johann, der ihn zum Leiter seines Militärorchesters in
Karlskrona machte.
Unter seinen Nachkommen waren Musiker, Komponisten, Opernsänger,
Politiker, Maler - und der 1948 in Stockholm geborene Krimiautor Henning
Mankell. Dagegen haben die Mankels aus Niederasphe ganz alltägliche
Berufe. Die zehn Familien sind aber tatsächlich alle mit dem berühmten
Schweden verwandt, versichert Pfarrer Friedhelm Wagner gemeinsam mit dem
Heimatverein. Herausgefunden haben sie dies bei den Recherchen für ein
geplantes Dorfbuch, für das sie die Kirchenbücher wälzten. Freilich ist
die Verwandtschaft recht weitläufig. "Alle heutigen Mankels stammen von
einem Großonkel des Auswanderers ab", sagt der Historiker Ulrich Stöhr.
Dass die Spuren nach Schweden führen, wusste Margerete Semus, geborene
Mankel, allerdings schon lange. Bereits in den sechziger Jahren tauchte
nämlich ein Onkel Henning Mankells auf der Suche nach seinen deutschen
Wurzeln auf. Und er freundete sich mit Margarete Semus an, die
inzwischen jedes Jahr zur schwedischen Verwandtschaft nach Stockholm
fährt.
Natürlich gibt es in Niederasphe eine leicht erhöhte Leserzahl der
Krimis um den Kriminalkommissar Wallander aus Ystad. Manche merken nur
kritisch an, dass die Romane "schon ein bisschen grausig" seien.
Direkten Kontakt zu Henning Mankell hatte allerdings keiner der Dörfler.
Margarete Semus hat nur einmal bei seiner Ehefrau Eva Bergman - Tochter
des Regisseurs Ingmar Bergman - angerufen, um nachzufragen, ob sie
Mankells Wurzeln bekannt machen dürften. "Kein Problem", beschied die
Theaterregisseurin, die die Recherchen aus Niederasphe sehr interessant
fand. Den preisgekrönten Schriftsteller selbst zu einem Besuch
einzuladen, "das haben wir uns noch nicht getraut", sagt der Pfarrer.
Aber noch vor Weihnachten soll die neue Dorfchronik vorgestellt werden.
Und wenn Henning Mankell dann tatsächlich nach Niederasphe kommt, wollen
die Bürger eine Erinnerungstafel für den Auswanderer und seinen
berühmten Nachkommen aufhängen.
von Gesa Coordes, ddp.
(Quelle: SPIEGEL ONLINE)
- 26.07.2006:
"Wallanders erster Fall" mit
Rolf Lassgård
SVT dreht einen letzten
Wallander-Film mit Rolf Lassgård in der Hauptrolle. Zwölf Jahre lang hat
Rolf Lassgård (51) Polizeikommissar Kurt Wallander in Filmen und in
SVT-Serien gespielt, alle nach Henning Mankells Romanen. Vor kurzem
wurde die DVD-Version von 'Steget efter' ('Mittsommermord') in Schweden
veröffentlicht und im Herbst sendet SVT den Film 'Brandvägg' ('Die
Brandmauer'), der im letzten Winter gedreht wurde. Nun wird auch Henning
Mankells Kurzgeschichtensammlung 'Wallanders erster Fall und andere
Erzählungen' verfilmt. "Es wird Spaß machen, die Sache zu Ende zu
bringen und auch noch das letzte Buch zu drehen", sagt Rolf Lassgård.
"Es wäre einfach toll, alle Bücher der Romanreihe gedreht zu haben."
In 'Wallanders erster Fall' geht es um den jungen Kurt Wallander. "Kurt
Wallander arbeitet als Streifenpolizist. Er erlebt die Revolte der 60er,
er trifft seine zukünftige Frau Mona", sagt Martin Persson von 'Tre
Vänner', die den Film produzieren werden. "Auch wenn Lassgård die
selbstverständliche Besetzung in der Rolle ist, kann er natürlicherweise
nicht den jungen Wallander spielen." "Nein, aber ich kann daliegen und
über mein Leben nachsinnen", sagt Rolf Lassgård. "Ich hatte einen
Kollegen, Svedberg, der mir unerhört viel bedeutete. Ich kann an Maja
Thysell denken und daran, wie ich sie zum ersten Mal getroffen habe."
Es wird eine Geschichte voller Lebenserinnerungen, Filmausschnitte und
Rückblicke werden. "Es ist spannend, mit einer Rolle zu altern, neben
ihm, zusammen mit ihm", sagt Rolf Lassgård. "Was in 'Wallanders erster
Fall' einfließen kann, sind Fragen wie: Was man mit seinen letzten
Jahren anstellen soll, wie das Leben gewesen ist und ob es am Ende gut
geworden ist." Wann die Dreharbeiten zu 'Wallanders erster Fall'
beginnen sollen, ist momentan noch unklar.
Von ÅKE LUNDGREN
(Quelle: Expressen, Recherche:
Martina Andres, Übersetzung: Anja Hoppe)
- 07.07.2006:
wallander-web.de geht in die
Sommerpause
Vom 7. Juli bis 30. September 2006
befindet sich die Redaktion der "Kommissar-Wallander-Fanpage" in der
Sommerpause. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass e-mails daher nur
mit zeitlicher Verzögerung beantwortet werden können. Wir wünschen allen
Besucherinnen und Besuchern von wallander-web.de einen schönen Sommer
und würden uns freuen, Sie schon bald wieder auf unseren Seiten begrüßen
zu dürfen!
- 27.05.2006:
"Wie Wallander sich
entwickelt" - Mankell im Interview
Es gab nur einen, dem Henning Mankell seinen Kommissar Wallander
zutraute: Rolf Lassgård. Jetzt wird er von Krister Henriksson abgelöst.
Mankell über die Figur und ihren Wandel. Von Olaf Neumann
Henning Mankell, 58, gehört mit 22 Millionen verkauften Büchern zu den
Weltstars der Kriminalliteratur. In seinen Romanen um Kommissar Kurt
Wallander zeigt der Schwede drastisch, wie sich die Gesellschaft
verändert hat. Das gilt auch für die neue 13-teilige Reihe "Mankells
Wallander", die Mankell speziell fürs Fernsehen geschrieben hat. Auftakt
ist am 2. Juni in der ARD der Film "Vor dem Frost" nach dem
gleichnamigen Bestseller. Mankell erzählte uns, warum ihn der Wallander
auch nach über 15 Jahren nicht loslässt.
JOURNAL: "Die Verfilmungen Ihrer Krimis sind Publikumsrenner.
Mittlerweile gibt es sogar zwei Wallander-Darsteller: Rolf Lassgård
ermittelt seit Jahren im ZDF, im Juni bekommt er Konkurrenz von Krister
Henriksson im Ersten. Ergänzen sich die beiden?"
HENNING MANKELL: "Als vor 15 Jahren die Wallander-Romane verfilmt werden
sollten, stimmte ich zu. Bedingung: Ich bei der Besetzung das letzte
Wort. Ich entschied mich für Rolf Lassgård. Er kommt als einziger für
die klassischen Wallander-Romane in Frage. Für die ARD habe ich neue
Geschichten ausgedacht. Durch die Figur der Tochter Linda beginnt eine
neue Ära mit dem Schauspieler Krister Henriksson als Wallander. Ich
finde das wundervoll."
JOURNAL: "Wallander ist eine komplexe Persönlichkeit. Wie stellt man ihn
authentisch dar?"
MANKELL: "Eine Figur ist nur glaubwürdig, wenn sie sich verändert.
Deshalb habe ich Wallander immer wieder neue Meinungen und neue
Krankheiten gegeben. Henriksson hat diesen Aspekt clever in seine
Darstellung übernommen. Ich habe ihm geraten, an dem Charakter neue
Seiten zu entdecken, die selbst ich nicht kenne."
JOURNAL: "Warum haben Sie Wallanders Tochter Linda so viel Raum
gegeben?"
MANKELL: "Die spannendsten Konflikte und Widersprüche unserer
Gesellschaft liegen zwischen den Generationen, vor allem Eltern und
Kindern. Ich wollte Wallander dabei zeigen, wie er von seiner Tochter
herausgefordert wird. Linda gibt mir die Möglichkeit, ihrem Vater völlig
neue Seiten abzugewinnen."
JOURNAL: "Fiel es Ihnen schwer, aus der Perspektive einer Frau zu
schreiben?"
MANKELL: "Ich bat eine Polizistin, für mich ein Geheimtagebuch zu
führen. Es war interessant, das zu lesen: Es gibt Bereiche, in denen
weibliche und männliche Polizisten unterschiedlich handeln. Etwa, wenn
ein Selbstmörder vom Dach springen will. Da schickt man eine Polizistin.
Frauen sind einfach leidenschaftlicher."
JOURNAL: "Was macht Sie eine gute Literaturverfilmung aus?"
MANKELL: "Wenn man den Filmleuten Freiheiten lässt, kommen die besten
Ergebnisse. Versucht man, ein Buch eins zu eins umzusetzen, wird das
meistens nichts. Literatur und Film sind zu verschieden. Deshalb sage
ich den Regisseuren, sie sollen ihre eigene Lösung finden. Selbst wenn
sie dabei etwas an meinen Geschichten ändern müssen."
JOURNAL: "Fällt es Ihnen schwer, den Wallander in andere Hände zu
geben?"
MANKELL: "Das tue ich ja gar nicht. Ich gebe nur die Figur an Henriksson
weiter. Aber sollte mir am Drehbuch etwas nicht passen, habe ich immer
das letzte Wort. Ich mische mich aber nicht dauernd ein. Sobald meine
Bedingungen akzeptiert sind, lasse ich sie machen."
JOURNAL: "1990 ermittelte Wallander in seinem ersten Fall. Wie hat sich
das Verbrechen seitdem entwickelt?"
MANKELL: "Meine Geschichten werfen von Anfang an ein kritisches Auge auf
die Gesellschaft. Vor 15 Jahren hätte man in Schweden noch keinen
Container voller Flüchtlinge gefunden. Da hat sich also etwas geändert,
das sich auf die neuen Geschichten niederschlägt. Das Organisierte
Verbrechen hat sich in Europa in den letzten zehn Jahren rasant
entwickelt. Auch Korruption ist stark gestiegen."
JOURNAL: "Glauben Sie, dass Europas Gesellschaften heute umdenken und
wieder Solidargemeinschaften bauen, in denen Schwache unterstützt
werden?"
MANKELL: "Ich hoffe es. Jüngstes Beispiel in Italien: Berlusconi wurde
abgewählt, weil das Volk eine andere, nicht korrupte Gesellschaft haben
will. Auch in Frankreich gehen junge Menschen auf die Straße, um Rechte
einzufordern. In Deutschland gab es ähnliche Proteste. Es liegt an uns
Wählern."
JOURNAL: "Welche sozialen Herausforderungen gibt es in Schweden?"
MANKELL: "Im Herbst wird bei uns gewählt, nach Umfragen werden diesmal
wohl nur wenige zur Urne gehen. Deshalb sehe ich es als größte
Herausforderung, Wähler zu motivieren. Wir müssen die Demokratie
verteidigen, in ganz Europa. Demokratie ist nicht passiv. Zu ihr gehört,
etwas zu tun oder zu sagen."
JOURNAL: "Nicht wählen kann ein Ausdruck von Politikverdrossenheit
sein."
MANKELL: "Dagegen kann man kämpfen. Wer unglücklich mit seinen
Politikern ist, kann sie abwählen. Zuhause bleiben und nichts zu tun,
gilt nicht. Nur wer handelt, kann die Welt ändern."
JOURNAL: "Ihre zweite Heimat ist Mosambik. Das Land im Süden Afrikas
wurde in den 80er und 90er von Bürgerkriegen und Naturkatastrophen
erschüttert. Wie stabil ist es heute?"
MANKELL: "Die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung vollzieht
sich unglaublich schnell. Fantastisch, das zu sehen. Die Menschen haben
die Möglichkeit bekommen, die Regierung mitzubestimmen. Die Demokratie
ist zwar noch nicht zu 100 Prozent vollendet, aber sie wird stärker. Als
ich vor 18 Jahren nach Mosambik kam, habe ich das nicht erwartet. Aber
mit dem Fall der Mauer in Deutschland hat auch niemand gerechnet."
(Quelle: HAMBURGER ABENDBLATT vom 27. Mai 2006, Recherche: Stefan
Hoffmann)
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